St. Pauli sagt Tschüs: Abschied von einem Kultclub (dpa) [zurück]
[zoom] Hamburg (dpa) - Der «Weltpokalsiegerbesieger» FC St. Pauli sagt Tschüs und könnte nur ein Jahr nach dem spektakulären Erfolg über Bayern München in der Bedeutungslosigkeit der Fußball-Oberliga verschwinden.
Vor dem wohl letzten Heimspiel des Bundesliga-Absteigers in der 2. Liga gegen den MSV Duisburg ist die Lizenz für die Regionalliga ernsthaft in Gefahr - der Kiez-Club ist auf eine Bürgschaft der Hansestadt angewiesen.
Nach 17 Jahren und 582 Spielen (204 in der 1. und 378 in der 2. Liga) kann nur ein Fußball-Wunder St. Pauli retten. Zwei Spieltage vor Saisonende scheint das sportliche Schicksal bei sechs Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz besiegelt. Eine turbulente Zeit geht damit zu Ende: Nach dem Aufstieg 1986 in die 2. Liga gelang zwei Jahre später zum zweiten Mal nach 1977 der Sprung ins Oberhaus.
Fortan sorgte der Verein drei Jahre lang für Schlagzeilen und Farbtupfer im knallharten Liga-Business. Ein 0:0 am Millerntor gegen die Bayern wurde wie ein Sieg im Klassenkampf «Arm gegen Reich» gefeiert, der legendäre und wortkarge Torhüter Volker Ippig ging anschließend mit schweren schwarzen Stiefeln ins ZDF-Sportstudio. Erst im vergangenen Jahr wurden die Münchner mit 2:1 bezwungen - die eigens gedruckten T-Shirts vom «Weltpokalsiegerbesieger» wurden zum Verkaufsschlager. 22 000 Hemden gingen über die Theke.
Im baufälligen Stadion feierten die Punks mit den schwarzen Kutten mit den Autonomen aus der Hafenstraße. Hausfrau wie Banker lagen sich nach einem Tor für «Pauli» in den Armen. Ende der achtziger Jahre verdrängte die Totenkopffahne das Logo als Vereinssymbol: Ein Mythos wurde geboren. Der Club zog alle Bevölkerungsschichten in seinen Bann. Die Mannschaft verlor oft, zeigte selten guten Sport - und doch: Die Fans feierten sich immer wieder selbst, waren nie Verlierer. Im «Freudenhaus der Bundesliga» wurden die Abstiege 1991 und 1997 großmütig verziehen. Nun kommt die Nagelprobe. «Wir werden diesen Tiefschlag wegstecken. In diesem Verein steckt so viel Kraft», sagt Trainer Franz Gerber. Er muss ein neues Team formieren und im günstigsten Fall mit einem Etat von 1,3 Millionen Euro auskommen.
Dabei kam mit dem Bundesliga-Aufstieg im Mai 2001 das große Geld zum wirtschaftlich stets klammen Verein. Allein 13 Millionen Euro gab es in der Saison 2001/02 vom TV, doch die Gelder wurden zum Fenster hinausgeworfen. Anstatt die eingespielte Aufstiegself einzusetzen, holten Trainer Dietmar Demuth und Manager Stephan Beutel für teures Geld zwölf neue Spieler, die den Zusammenhalt des Teams durchbrachen. Die beiden Vizepräsidenten wurden zu hoch bezahlten Funktionären befördert, ein Umstand, der einst undenkbar im Eldorado der ehrenamtlichen Helfer am Millerntor gewesen war.
Das Jahr 2002 wurde zum negativen Wendepunkt eines Vereins, der am 15. Mai 2003 seinen 93. Geburtstag feierte. Intrigen und Machtspiele machten vieles kaputt. Die Trainer Demuth und sein Nachfolger Joachim Philipkowski wurden binnen vier Monaten entlassen. Weiter feuerte der Nachfolger des umstrittenen Reenald Koch als Clubchef, der Theatermann Corny Littmann, Vizepräsident Christian Pothe und Geschäftsstellenleiterin Tatjana Groeteke, die dem Verein vorwarf, schwarze Kassen angelegt zu haben.
© dpa - Meldung vom 16.05.2003 10:50 Uhr