Moin Parmi,
Du schreibst: "...Um 17.30 Uhr haben nur noch Arbeitslose und Schüler und Studenten die Möglichkeit, ihren Klub zu unterstützen."
Und da muss ich dann doch mal mein Veto einlegen. Richtig ist, dass es viele Arbeitsverhältnisse gibt, die es notwendig machen, dass man bis in den Abend hinein arbeiten muss. Dies ist bei der Mehrzahl der Beschäftigungsverhältnisse jedoch nicht der Fall. In den meisten Unternehmen gibt es heutzutage gar keine fixen Arbeitszeitvorgaben mehr. Man hat morgens bis zu einer bestimmten Zeit (meistens 09:00 Uhr) an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen und hat eine Zeitvorgabe, ab wann man den Arbeitsplatz wieder verlassen darf. Flexible Zeiterfassungssysteme sind inzwischen Usus. Hauptsache ist, dass man seine vereinbarte, wöchentliche Stundenzahl einhält. So betrachtet hat also eine Mehrzahl der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer durchaus keine Probleme damit, an jedwedem Wochentag um 17:30 Uhr ein Fußballspiel zu besuchen, sofern die Anreise akzeptabel ist. Natürlich gibt es eine Vielzahl von Berufsgruppen, deren Jobdescription das nicht zulassen. Freiberufler, Schichtarbeiter, Dienstleister und - vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse - sind hier nur exemplarisch genannt. Diese stellen jedoch bei weitem nicht die Mehrheit dar. Man sollte also diesbezüglich mal die Kirche im Dorf lassen.
Ferner schreibst Du: "...So etwas kann dem gemeinen Fernsehkonsumenten natürlich egal sein, den ich hier mal als sesselpupenden trikottragenden Internethooligan oute."
Zunächst mal: Outen kann man sich nur selber, andere diskreditiert man.
So etwas kann dem gemeinen Fernsehkonsumenten alles andere als egal sein. Egal kann ihm jedoch sein, wie man ihn auch
immer diskreditiert. Schaut man sich die aktuelle Entwicklung der Dauerkartenverkäufe der Vereine an und bedenkt dabei
auch noch, dass es dadurch bei vielen Clubs inzwischen fast unmöglich ist, Karten im freien Verkauf zu erwerben, dann kann
man sich nicht einfach hinsetzen und den Fernsehzuschauer in Bausch und Bogen in dieser Weise diskreditieren. Zumal es in
der aktuellen Debatte gerade darum geht, den Fernsehzuschauer kräftig auszuplündern. DFL und DFB planen doch genau das,
dass im frei empfangbaren Fernsehen so wenig und so inaktueller Fußball wie möglich gesendet wird, damit sich die Konsumenten
mit digitalen Empfangsgeräten und den dazu gehörigen Verträgen ausstatten, was in der Anschaffung bereits ziemlich happig,
in den monatlichen Folgekosten dann geradezu unverschämt ist.
Wenn also das (fragwürdige) kulturelle Gemeinschaftserlebnis für viele mangels Kapazität ( oder - wie du konzedierst - aus
Entfernungsgründen) gar nicht erreichbar ist, werden immer mehr an Fußball interessierte Mitmenschen auf das subkulturelle
Fernseherlebnis, in einer überschaubaren, ausgewählten Gemeinschaft angewiesen sein. Diese dann als "sesselpupende, trikot-
tragende Internethooligan" zu bezeichnen, halte ich für - gelinde gesagt - etwas unbedacht.
Man sollte sich zudem immer vor Augen halten, dass gerade durch die Gelder der fernsehenden Fußballanhänger Fußball in
der heutigen Form gar nicht möglich wäre. Man mag dazu stehen, wie man will. Tatsache ist, dass ohne die so genannten
Fernsehgelder unser FC St. Pauli - aber natürlich auch die meisten anderen Ligavereine - überhaupt keinen Berufsfußball
mehr anbieten könnte. Von den Einnahmen aus Kartenverkauf und Merchandising jedenfalls könnte sich auch der vorbildlich
sparsame FC St. Pauli seinen heutigen Kader nicht leisten.
Noch ein Wort zum kulturellen Gemeinschaftserlebnis. Mir persönlich macht das kulturelle Gemeinschaftserlebnis Fußball seit Jahren zunehmend Probleme. Nicht, dass mich die Atmosphäre im Stadion nicht mehr fasziniert. Die Nähe und die Enge auf den Stehplätzen sind es, die mir immer mehr auf den Senkel gehen. Ich kaufe mir inzwischen lieber eine Sitzplatzkarte, um Gedränge und Geschiebe aus dem Weg zu gehen. Von dem in allen Medien so hoch gehandelten Public Viewing als kulturelles Gemeinschaftserlebnis halte ich mich erst recht fern. Ich schaue mir Fußball am liebsten mit einer - von mir ausgesuchten - Gruppe von Freunden an und verabscheue Verbrüderungsszenen mit wildfremden Menschen, nur weil man dem gleichen Verein anhängt. Auch unter der FC St. Pauli Anhängerschaft gibt es genügend Leute; hmmm...ich will´s mal englisch sagen...: I wouldn´t touch them with a bargepole. Da verzichte ich dann gerne auf das kulturelle Gemeinschaftserlebnis und genieße mein kulturelles Individualerlebnis. Auch und gerade und nicht zu selten - und da schließt sich wieder der Kreis - beim Fußballgucken auf dem Union Sportplatz an der Waidmannstraße oder an der Tornquiststraße bei mir ums Eck.
Auf Brett reimt sich Brett. ;-))
Forza FC St. Pauli, Bodo
Life is what happens, while you´re busy making other plans. (John Lennon 1940 - 1980)
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