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Moin,
ich hab dann auch mal wieder was geschrieben...
Entweder online auf http://wp.me/pdUAL-1qk oder halt hier, je nachdem, was euch lieber ist...
Hallo Haupttribüne, hallo Präsidium, wir müssen mal miteinander reden... (FCSP – Bochum 0:1)
Und ich hoffe, ich langweile dich damit nicht. Ist ja nicht so, dass ich dir da was komplett neues erzähle. Es ist letztlich jedes Mal wieder das gleiche. Also besonders, wenn viele Gästefans am Millerntor sind. Die brauchen wir, die machen das Spiel stimmungsvoller, und das anfeuern des eigenen Teams macht dann gleich noch mal mehr Spaß.
Blöde nur, wenn dann “das eigene Team” in diesem Fall das Team des Gastes ist. So wie heute beim Spiel gegen den VfL Bochum wieder, auf der Haupttribüne. Wenn in der 12. Minute plötzlich gefühlt ein Drittel der Haupttribüne, namentlich die Blöcke H1 bis H3, jubelnd aufspringen, muss ein Tor gefallen sein. War es auch, der Bochumer Eyjolfsson (klingt wie der isländische Vulkan, der vor einigen Jahren für ein komplettes Flugverbot über Europa sorgte) erzielte die Bochumer Führung. Wenn bei der Aufforderung zum Wechselgesang dann diese Blöcke sitzen bleiben, anstatt wie üblich aufzustehen, gibt es ein paar Pfiffe der übrigen Tribünen. Und ich hoffe, diese Pfiffe haben die bereits stehenden St. Paulifans nicht auf sich bezogen, und so wirklich gemeint waren die Bochumer wohl auch nicht, aber das Präsidium, das darf sich von diesen Pfiffen gerne mal ganz direkt angesprochen fühlen.
Seit dem Neubau der Haupttribüne (ich sagte bereits, es ist kein ganz neues Problem) haben wir nun schon den Zustand, dass eine jahrzehntelang gewachsene Fangemeinschaft, die ihrem Verein teilweise länger treu sind als der gemeine Stehplatzbesucher überhaupt alt ist vom Verein nicht etwa für die langjährige Treue hofiert wird, sondern gelinde gesagt etwas gegenteiliges erfährt. Sie wurden erst mehr oder weniger ins Exil vertrieben (in den Norden, oder wo hin auch immer, ich habe das nur am Rande verfolgt… “Mich betraf es ja nicht”), um sich bei ihrer Rückkehr dann vor vollendeten Tatsachen (im wahrsten Wortsinne) wieder zu finden- oder eben auch nicht wieder zu finden (ihre bisherigen Sitzplatznachbarn).
Statt ihren bisherigen Nebensitzern fanden und finden sich viele Haupttribünensitzer nunmehr ganz offensichtlich im “neuen, erweiterten Gästeblock” wieder. Sofern sie sich die deutlich teureren Karten dort nun überhaupt noch leisten können. Egal, ob jemand seit 40 Jahren ins Stadion ging und sich den Platz auf der neuen Haupttribüne nun nicht mehr leisten kann- er wird im Zweifelsfall schon willig von jemand anderen ausgetauscht werden, das Stadion ist voll, die Karten werden verkauft. Gegebenenfalls eben auch an Gästefans, so das aus einstmaligen Heimblöcken der Haupttribüne nunmehr mehr oder weniger inoffiziell erweiterte Gästeblöcke werden. Gentrification auf St. Pauli, am Beispiel des Millerntor- Stadions gewissermaßen. Klar, St. Paulifans verhalten sich auswärts oftmals nicht viel anders- sobald der Gästeblock voll ist, wird sich mit Karten in angrenzenden Blöcken eingedeckt. Nichts anderes machen Gästefans am Millerntor.
Auch die übrigen Stadionbereiche wurden neu gebaut. Allerdings ist es auf Stehplatztribünen um ein Vielfaches leichter, sich dennoch zu seinen Freunden zu stellen (sofern man nicht gerade auf der Gegengerade steht, da wird über eine künstliche Zersplitterung ja auch schon gelegentlich nachgedacht, Stichwort “Block ist voll”- Problematik). So gesehen betrifft mich als Südkurvensteher das alles nicht wirklich, ich habe “meinen” Stehplatz sicher (im grandiosen Miniatur-Millerntor sowieso, im großen aber eigentlich auch, denn “man kennt sich”…).
Aber bei jedem Spiel, was viele Gästefans anzieht, betrifft mich diese Verdrängung von langjährigen Haupttribünensitzern dann doch wieder, ganz direkt, ganz emotional.
Es schmerzt mit ansehen zu müssen, wenn sich an den Ausgängen zehn Minuten vor der Halbzeit/ dem Ende schon erste Schlangen von Leuten bilden, die raus strömen (kam zeitgleich auf der anderen Hälfte der Haupttribüne, die Business Seats jetzt mal ausgenommen, so nämlich nicht in dieser massiven Form vor). Es schmerzt, wenn ich von der Südkurve aus ansehen muss, dass bei einem Tor für die Gäste ein Drittel der Haupttribüne am jubelieren ist. Es schmerzt, wenn sich diese Leute bei den Wechselgesängen dann (natürlich) nicht mit beteiligen. So sehr ich mich auch auf einen vollen Gästeblock freue (wenn es nicht gerade Rostocker sind)- aber muss sich dieser Gästeblock ausgerechnet dort befinden, wo eigentlich ein Heimblock ist, jedenfalls offiziell? Es schmerzt, wenn man sich vorstellt, dass dort vorher eine Person saß, mit der man, was die Form des Supports angeht, was Meinungen zur Vereinspolitik angeht, sicherlich nicht immer einer Meinung war- aber man feuerte wenigstens das gleiche Team an. Freute sich über die gleichen Tore (so sie denn auch zuhause mal wieder fallen würden), man schimpfte über den Schiedsrichter oder verfluchte einen St. Paulianer, der zum x-ten Mal eine Großchance vergab- kurzum, man litt und genoss gemeinsam das Erlebnis FC St. Pauli.
Erinnert ihr euch noch an die Momente in heißen Phasen eines Spieles, vielleicht sogar bei eigenem Rückstand, wo die Haupttribüne urplötzlich geschlossen aufstand und das Team nach vorne peitschte? Das waren geile Momente. Vielleicht auch, weil sie in dieser Geschlossenheit selten waren- aber dennoch immer wieder vor kamen. Aber das ist lange her. In etwa so lange, wie die neue Haupttribüne nun steht.
Das “Erlebnis Millerntor” ist ein anderes geworden, seit der Haupttribünenbereich, den ich von der Südmitte aus am stärksten (im Augenwinkel) wahrnehme komplett gegensätzliche Emotionen wie ich selbst zeigt. Und da tun mir auch die Haupttribünensitzer echt leid. Es ist ja schon grausam, in der Südkurve einen Gegentreffer zu erleben. Es muss um ein Vielfaches grausamer sein, es mitten zwischen feiernden Gästefans zu erleben, obwohl man sich im Heimbereich befindet.
Ich weiß nicht, was man da jetzt noch machen kann- wahrscheinlich ist es dafür schon zu spät. Vielleicht will man aber auch gar nichts mehr verändern (denn das Stadion ist ja ausverkauft)…?
Aber wenn man da noch etwas tun kann und es auch will…: Bitte, Präsidium, tue etwas! Diese langjährigen Stadionbesucher, die offenbar wohl relativ lobbylos (weil zumeist unorganisiert) dastehen(!), haben es einfach verdient. Alleine schon, damit das mit dem Wechselgesang zukünftig wieder besser aussieht.
Damit das Stadionerlebnis für die Haupttribünensitzer auch bei einem vollen Gästeblock wieder so schön wird wie es früher einmal war. Und damit auch für mich. Selbst und gerade auch bei einer Niederlage vom magischen FC.
Mach was, Präsidium! Tu was gegen diese Gentrification im Millerntor! Wenn es schon die Stadt nicht für den Stadtteil tut...
Grüße, Stefan
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