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So langsam mausert sich das Wort "Stellungnahme" zu meinem Lieblingswort...:
Erklärung der G.A.S. Sankt Pauli zum 28. März 2010
Manchmal ist weniger mehr…
900 eintägige Stadionverbote (als solche verstehen wir die im Vorwege durchgeführte Repressionsmaßnahme) wurden uns Fußballfans als „einvernehmliche“ Regelung zwischen dem FC St. Pauli und der Polizei präsentiert. 900 Fans wurden folglich auch im Namen unseres Vereins präventiv für ein Spiel ihres Vereins ausgesperrt.
Unser Präsidium wollte der Öffentlichkeit dieses Ergebnis der Verhandlungen mit der Polizei als Erfolg vermarkten, obwohl es selbst Anfang des Jahres den ersten Schritt in Richtung Aussperrung der Rostocker gegangen ist. Ein Zeichen des Widerstandes durch eine medial Aufsehen erregende symbolische Aktion sollte demzufolge gesetzt werden. Die Solidaritäts-Aktion, aus Protest gegen die fortschreitende Repression gegen Fußballfans, fünf Minuten später die Südkurve zu betreten, hielten wir als Fanclub des FC St. Pauli als eine gute und machbare Form des Widerstandes.
Wir gingen davon aus, dass sich der allergrößte Teil der von Fans selbstverwalteten Südkurve dem Protest anschließen und sich mittels der 5-Minuten-Aktion mit den ausgesperrten Fans aus Rostock solidarisieren würde.
Einmal auch auf fünf Minuten verzichten können - in der Hoffnung, dass dieser Verzicht zukünftig weiterhin die Möglichkeit der Teilnahme an allen Fußballspielen unseres Vereins bewirkt.
„Stell Dir vor es ist Fußball…und Du kommst 5 Minuten zu spät!“
Eine Blockade bildet ein radikales Mittel zur Durchsetzung eines (fan-)politischen Anliegens. Die Blockade am Spieltag wurde zwar auf dem Flyer des Boykott-Aufrufs nicht kommuniziert aber den G.A.S.ler_innen auf der Süd war klar, dass diese durchgeführt werden würde. Daher sind wir auch gemeinsam mit USP, anderen Fangruppen und Einzelpersonen schon so früh in die Südkurve gegangen und haben diese Form des Protestes mitgetragen. G.A.S.ler_innen haben sich in der Südkurve und an den Aufgängen dazu bereit erklärt, andere Fans mittels Flugblättern und in persönlichen Gesprächen aufzuklären. Wir sind dabei im Vorwege von mehr politischem Weitblick und einem solidarischen Miteinander ausgegangen, haben die solidarische Haltung einiger Blockierter allerdings überschätzt bzw. die für St. Paulianer_innen anscheinend übliche Trotzhaltung unterschätzt. Die Lage ist also von uns insgesamt falsch eingeschätzt worden.
Wir sehen die im Rahmen der an diesem Tag von Fans gegen Fans durchgesetzten Blockade begangenen Fehler vollständig ein. Insbesondere hinsichtlich der nicht genügend transparenten Kommunikation im Vorwege und dem unglücklichen Einbezug der Sitzplätze. In diesen Punkten stimmen wir mit der Stellungnahme von USP überein und verweisen auf diese.
Gerade eine breitere Kommunikation im Vorfeld hätte unserer Ansicht nach die Liste der Unterstützer_innen des Aufrufs verlängert und auch eine größere Mobilisierung von Menschen erreicht, welche am Spieltag aktiv bei der Durchsetzung des Boykotts mitgewirkt hätten.
Es hätte darauf gesetzt werden sollen, dass sich vereinzelte Stadionbesucher_innen, die verloren in der Süd stehen, komisch fühlen und sich solidarisieren. Dies hat in der Vergangenheit ja auch geklappt wie die 20 Schweigeminuten bei Montagspielen zeigten. Auch das Präsentieren einer Blockfahne über die gesamte Südkurve ist in der Vergangenheit gelungen, obwohl damit das Einlaufen der Mannschaften nicht verfolgt wurden konnte. So aber wurde das ursprüngliche Ziel verfehlt.
Wir als Fanclub, der den Protest mitgetragen hat, sind allerdings auch von den Reaktionen vieler Fans enttäuscht, angefangen von einer Reihe nicht akzeptabler Beleidigungen und körperlichen Angriffen vor Ort sowie von einigen verächtlichen Kommentaren im Nachhinein, vom Ruf nach Hilfe übergeordneter Instanzen und einer unreflektierten Medienrezeption bis hin zur generellen Demonstration von Uneinigkeit innerhalb unserer Fanszene.
Bleibt zu Hause Spacken!
Die im Zusammenhang mit der Protestaktionen geäußerten rassistischen, sexistischen, homophoben und sonst wie unterirdischen Beleidigungen verurteilen wir aufs Schärfste und werden diese auch in Zukunft weder im Rahmen von Fußballspielen noch in unserem übrigen Lebensalltag unbeantwortet lassen. Keine Unzufriedenheit rechtfertigt derartige Äußerungen, jede Unzufriedenheit ermöglicht hingegen andere Wege seinen Unmut zu äußern. Die G.A.S. hat keinen Bock gemeinsam mit Menschen, für die derartige Beleidigungen akzeptabel sind, im Stadion ein Fußballspiel zu verfolgen. Das werden wir unseren Gästefans sowohl auch den Personen, die neben uns im Stadion stehen, weiterhin verdeutlichen.
„Non-established“ sind allenfalls die Umgangsformen
Wir empfinden es darüber hinaus bitter, wie sehr in manchen Kreisen eine inhaltliche Diskussion der Protestaktion blockiert wird, wenn es nur noch darum geht, ob diese rechtens war, denn das ist im Abschiebe- und Sicherheitsstaat Deutschland so Einiges. Anstatt sich inhaltlich mit dem Anlass der Blockade auseinanderzusetzen, dient diese als Vorwand, lang gepflegten Ressentiments freien Lauf zu lassen. „Weiß“ mensch das Recht auf seiner Seite, braucht es folglich keine Argumente mehr. Wenn schon am Spieltag nicht der Schlagstock geschwungen wurde, dann bitte jetzt die Haus- und Grundrechtskeule!? Garniert wird das Ganze mit der Forderung von Stadionverboten, Strafverfahren und weiteren Zwangsmaßnahmen. Der Protest wurde hier von einigen Fans gewissermaßen in sein Gegenteil umgekehrt. Anstatt sich zumindest in der Sache einig zu sein und die Zuspitzung der Repressionspolitik seitens der Polizei und des Vereins zu erkennen und zu kritisieren, wird nun ein hartes Durchgreifen mittels Repressionsmaßnahmen von außen gefordert anstatt den internen Diskurs zu suchen.
Ein solches zur Schau stellen von Ignoranz kann nicht der Anspruch eines St. Pauli Fans sein. Wer seine Alternativität ständig vor sich herträgt, muss irgendwann auch mal Farbe bekennen. Dieses Bekenntnis fordern wir in anderen Zusammenhängen auch vom Verein, der sich in der Vermarktung gerne mit einem alternativen Image schmückt. Das Dulden von sexistischer Werbung im Stadion etwa wirft jedoch Fragen zwischen Wirklichkeit und Inszenierung auf.
1 + 1 = 3
Wir hoffen, dass die Diskussionen der vergangenen Tage bei vielen Fans zumindest zum Überdenken der eigenen Position geführt hat, sich zukünftig wieder aufeinander verlassen werden kann und in entscheidenden Momenten Einigkeit demonstriert wird. Sei es im Anfeuern der Mannschaft in Richtung Aufstieg, in der Auseinandersetzung mit fanpolitischen Themen oder im Selbstverständnis gegen rechte Einstellungen und Verhaltensweisen. Unserer Ansicht nach ist es unerheblich, ob nun ein britischer, deutscher, italienischer oder südafrikanischer Support bevorzugt wird. Jedem_r Stadiongänger_in bleibt es selbst überlassen, welche Form der Unterstützung für die Mannschaft gewählt wird. Jedoch befürchteten wir in der aktuellen Diskussion zeitweise, dass die Fans, welche sich mehr englischen Support wünschen, bald komplett englische Verhältnisse beim Fußball erhalten werden...
Alle, die sich eine Eintrittskarte für ein Fußballspiel besorgen, haben ihre Gründe, sich das jeweilige Spiel nicht im Fernsehen anzugucken. Genauso wenig wie es die typischen Fußballfans gibt, sind die St. Pauli-Fans als solche oder USP oder wir, die G.A.S., eine homogene Gruppe, die aus irgendeiner Schublade gezogen werden kann. Durch die begangenen Fehler darf sich die Fanszene des FC St.Pauli jetzt nicht spalten lassen sondern ist hingegen gefordert, eine konstruktive Diskussion über den Umgang miteinander und auch weiterhin über den Umgang mit Repressionen gegen Fußballfanstrukturen zu führen.
„Krieg der Fans“???
Schließlich wünschen wir uns von allen Fans des FC St. Pauli eine kritischere Betrachtung von Medienberichten. Wenn die Meinung eines Reporters gilt, ob das Abbrennen eines bengalischen Feuers nun „schwere Ausschreitungen“ oder eine „tolle südländische Atmosphäre“ darstellt, dann fehlt uns ein kritisches Bewusstsein bei dem_r Adressat_in. Wer sich seine Meinung einseitig aus der verschwendeten Druckerschwärze der Mopo bildet, dem raten wir auch mal einen Blick in andere Medien zu werfen und sich insbesondere zunehmend dem Mittel der persönlichen Kommunikation zu bedienen. Neben dem Kommunikationsort „Internet“ gibt es im Übrigen zahlreiche andere, an denen mensch nicht nur Bekannte trifft, die ebenso ihre Meinungen aus der Hamburger Tagespresse oder dem berüchtigten Internetforum bilden. Ebenso kann hin und wieder ein gutes Buch helfen, das vielleicht nicht auf der Spiegel-Besteller-Liste aufgeführt ist...
Es ist nachvollziehbar, wenn jemand nicht die Zeit oder Lust hat, sich andauernd nur mit Fußball zu beschäftigen oder wenn eine_r eben lieber die Anzahl der gewonnen Zweikämpfe zählt anstatt sich neue Fangesänge auszudenken. Es kann jedoch wohl der einen als auch der anderen Person ein gewisses Maß an solidarischen Verhalten abverlangt werden. Sogar wenn es jemanden selbst beispielsweise gut passen würde, wenn sonntags die Fußballspiele um 11:00h angepfiffen würden, so sollte das Verständnis vorhanden sein, dass eine solche Anstoßzeit mit den Interessen der meisten Fans nicht kompatibel ist. Unabhängig davon ob der Fußball für ein monatliches Familienevent gehalten, eine günstige Gelegenheit zum Bier knuspern oder als wöchentlicher Höhepunkt im Ausleben einer Jugendkultur empfunden wird. Dementsprechend fordern wir auch zukünftig Solidarität mit engagierten Fans des FC St. Pauli (auch wenn es gegen die eigene Vereinsführung geht) wie auch mit engagierten Fans anderer Vereine. Zudem wäre es uns am liebsten, wenn wir uns - wie in der Vergangenheit auch - mit unserem Verein zusammen auf einer Linie in Sachen Fanrechten und dem Verständnis von Fankultur bewegen können.
G.A.S. Sankt Pauli
Meine Webpojekte: http://www.stefan-rosskopf.de/ Wilder Büchertausch: http://kiezkicker.bookcrossing.com/ Schalke war heute eine Nummer zu groß für uns, nicht nur von der Größe her. (Bernd Schneider)