Von: Fanclubsprecherrat Sankt Pauli <news@fanclubsprecherrat.de>
Gesendet: 12. August 2022 17:54:15 MESZ
An: fc@stpaulifanclub.de
Betreff: United we stand – divided we fall!

Liebe Fanclubs,
hier kommt für euch ein Text zur gegenwärtigen Veränderung in unserer Fanszene. Wir bitten Euch mit euren Fanclubs und Gruppen die Thematik zu besprechen, zu überdenken und das Angesprochene ernsthaft anzugehen.

Das Ganze geht uns als Fanszene an -> !!! NICHT Facebook, Twitter und Co. - NICHT euren persönlichen Blog oder die Presse !!! <- Der Text ist über uns und für uns. Wir erwarten von euch, dass dies intern behandelt wird und intern bleibt.

Schärft die Sinne und haltet inne !
Liebe St. Pauli-Fans, Fanclubs, Gruppen und Institutionen,

als Fanszene haben wir immer stolz auf unsere Fähigkeit zur Selbstregulierung geschaut, eine unserer
großen Stärken in der Vergangenheit. Diese Fähigkeit erlaubt es uns, anderen Leuten und Gruppen,
aufgrund der Tatsache, dass sie Fans des FC St. Pauli sind, einen recht großen Vertrauensvorschuss
einzuräumen. Die Solidarität unter Fans des FC St. Pauli lebt von diesem Vertrauen. Es macht es uns
als Fanszene möglich, uns auch mit größeren Akteur:innen selbstbewusst auseinanderzusetzen. Es
gibt uns die Möglichkeit treibende Kraft und Regulativ im Verein oder gegenüber behördlicher
Willkür zu sein. Wenn dieses Vertrauen wegbricht, dann taumeln wir als Fanszene mit großen
Schritten in eine Richtung, die wir bei anderen Vereinen längst vorfinden und oft genug kritisieren.

Die Fanszene des FC St. Pauli ist in den letzten 15 Jahren immens gewachsen und hat sich in
verschiedene Gruppen, Institutionen und Initiativen ausdifferenziert. Einen Konsens zwischen diesen
verschiedenen Zusammenhängen auszuhandeln war aber doch zumeist möglich und in einigen
wichtigen Momenten, wie gegen Chemnitz, beim Schweinske-Cup, beim Jolly Rouge, nach dem
Angriff aufs Jolly oder dem Bielefelder Kessel, stand St. Pauli vereint.

Deshalb gucken wir mit großer Sorge auf eine Entwicklung in der Fanszene in den letzten Monaten
und Jahren, weil sie uns eben so grundlegend in Frage stellt. Wir müssen leider unsere Einschätzung
der Selbstregulierung hinterfragen und neu ausloten. Ein Prozess der uns alle angeht. Die teilweise
brutale Auseinandersetzung nach dem Nürnbergspiel auf der Südkurve, bei der Fans des FC St. Pauli
verletzt worden sind, macht diese Entwicklung auch für Leute offensichtlich, die nicht jeden Tag in
Sachen Fanszene unterwegs sind. Wir verurteilen gewalttätige Angriffe auf Fans des FC St. Pauli
entschieden und eindeutig. Egal, was der Auslöser gewesen ist: Eine körperliche Auseinandersetzung
im Block zu suchen, zieht nahezu zwangsläufig Unbeteiligte oder Menschen, die nur schlichten
wollen, in Mitleidenschaft und darf nicht das Mittel der Wahl sein.

Zu sehen wie Fans des FC St. Pauli von anderen St. Pauli Fans ernsthaft in ihrer Gesundheit
geschädigt werden, stellt das Miteinander grundlegend in Frage. Die Folgen werden offensichtlich
sein: Auseinandersetzungen dieser Vehemenz zwingen den Verein zum Handeln und liefern letztlich
auch den Cops eine Steilvorlage. Gerade die Polizei wird Ansprüche anmelden, solche
Auseinandersetzungen selbst zu unterbinden, wenn die Fanszene es nicht tut. Wenn das passiert und
wenn wir als Fans so ein Szenario nicht geschlossen verhindern können oder möchten, wäre es eine
größere Niederlage als die 0:4-Klatsche im Derby 2019. Als Fanszene, die sich als kollektive Akteurin
in diesem Verein versteht, würde es uns dauerhaft schwächen.

Stattdessen müssen wir als Fanszene daran arbeiten, einen sicheren Rahmen für alle Fans zu
schaffen. Dies betrifft nicht nur körperliche Auseinandersetzungen in unseren Kurven im gesamten
Stadion, dies betrifft auch weniger sichtbare Verhaltensweisen, mit denen Unsicherheit für andere
Fans geschaffen wird. Dies gelingt nur, indem die verschiedenen Zusammenhänge der Fanszene
wieder mehr Verantwortung übernehmen und die Auseinandersetzung mit Gewaltverhältnissen
einfordern, die auch in den Kurven präsent sind. Neben offener körperlicher Gewalt gehören dazu
auch Gewaltverhältnisse, die für manche - vor allem für Nichtbetroffene - nicht so offen sichtbar sind,
wie etwa patriarchale Strukturen und sexualisierte Übergriffe. Wir begrüßen, dass diesbezüglich im
vergangenen Jahr ein wichtiger Impuls gesetzt und das Thema in den Fokus gerückt wurde. Wir
dürfen dort nicht stehen bleiben und es ist Aufgabe von uns allen, hier eine Auseinandersetzung zu
führen und voranzutreiben.

Einbringen und Verantwortung übernehmen sind aber auch die einzigen Möglichkeiten, der Erosion
von Vertrauen untereinander entgegenzuwirken und wieder einen gemeinsamen emanzipatorischen
Grundkonsens als Fanszene zu erarbeiten – auch wenn dieser fast notwendig Kompromisscharakter
haben wird.

Wenn das gelingt, dann können wir aus den jetzigen Auseinandersetzungen gestärkt herausgehen,
wenn das scheitert, scheitern wir. Jede Einzelperson, jeder Fanclub, jede Gruppe ist an dieser Stelle
aufgerufen, nach Lösungen zu suchen, wie unsere Kurve ein Raum wird, in dem sich alle unabhängig
von Geschlecht, Herkunft oder Oberarmumfang einbringen können.

Die Reduzierung auf die vermeintliche Stärke der eigenen Gruppe, ein wie auch immer zur Schau
gestellter Machtanspruch unter Verletzung eines gemeinsamen Werteverständnisses oder falsch
verstandene Loyalität zur Gruppe über ein fanszeneweites Selbstverständnis hinweg, sind die
falschen Wege und ihn weiterzugehen wird uns immer tiefer in Misstrauen und Schwäche treiben;
letztlich in die Bedeutungslosigkeit.

Am Ende sind wir nur geschlossen stark und Geschlossenheit funktioniert nur im Vertrauen, dass mit
Fehlverhalten in den eigenen Reihen gut umgegangen wird. Alle sind gefordert, ihr Verhalten zu
überdenken, bevor uns die Situation aus der Hand gerissen wird.

Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!

Alle für St. Pauli – mit Hirn und Herz und Hand!"

Euer Fanladen und der Fanclubsprecher:innenrat

Unterstützende :
- Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder (AGiM)
- Ballkult e.V.
- Conexion
- Fanräume e.V.
- G.A.S.
- Nord-Support
- Nord-Vernetzung
- Supportblock
- Sozialromantiker
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