SPIEGEL ONLINE - Medien-Mythen: Von Schnürsenkeln, Springerstiefeln

und Sweatshirts

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Medien-Mythen: Von Schnürsenkeln, Springerstiefeln und Sweatshirts

Ein seltsamer Mythos wird in den Medien hin- und hergereicht: Die
Bekleidungsmarke "Lonsdale" erscheint plötzlich als geheimes
Erkennungszeichen von Rechtsradikalen. Tatsächlich gehen sich die
Journalisten nur selbst auf den Leim.

Von Jörg Schallenberg

Erst waren es die Schnürsenkel. Als die Medien irgendwann Anfang der Achtziger
die vielen verschiedenen Gruppen jugendlicher Subkulturen und insbesondere
die politische Gesinnung von Punks und Skinheads einfach nicht mehr richtig
einzuordnen wusste, brachte irgendein findiger Journalist die Bedeutung der
Schnürsenkel an den beliebten Springerstiefeln und "Doc Marten's"-Schuhen ins
Spiel. Wer weiße Senkel schnürte, war demnach - wegen "White Power" und
Betonung der weißen Rasse - ein Rechter. Wer rote Bänder trug, war natürlich
ein Linker. Die damals auch sehr beliebten gelben Schnürsenkel stellten ein
Problem dar - wahlweise standen sie für Hooligans, für Unpolitische oder aber
für Anhänger der FAP.

Das mochte manchmal sogar alles stimmen. Dass aber auch Linke aus optischen
Gründen oder wegen der Bewegung "Black and White United" weiße Bänder in
schwarzen Schuhen trugen; dass Rechte rote Senkel auf Grund ihrer
Blut-und-Boden-Gesinnung und wegen der Verbundenheit zu "Blood & Honour"
bevorzugten und die sportlich gewandeten Hooligans ohnehin nie schwere
Stiefel trugen, wurde ignoriert. Die Mär von der eindeutigen Identifizierung
der Gesinnung durch den Schnürsenkel hielt Einzug in den
Verfassungsschutzbericht und offizielle Schriften des Innenministeriums. Wer
sich ernsthaft mit Subkulturen und der Bedeutung von Kleidung befasste,
konnte nur den Kopf über diese offensichtlich aussagearme und vereinfachende
These schütteln.

In den letzten Jahren nun hat sich in den Medien ein neuer Mythos etabliert,
der sogar noch aberwitzigere Formen annimmt.

Rechtsradikale und insbesondere rechte Skinheads nutzen demnach die Pullover
und Shirts der britischen Marke "Lonsdale", um ihre Gesinnung zu
präsentieren. Wie das? Ganz einfach, tönt es unisono aus Fernsehsendungen,
Radiokommentaren und Zeitungsartikeln: Wenn man seine Jacke im richtigen
Winkel schließt, dann leuchten vom über die Brust gedruckten Logo des
Herstellers nur noch die Buchstaben "NSDA" hervor. Da fehlt doch was? Egal,
die Zeichen sind so eindeutig, dass sogar die "Süddeutsche Zeitung", immerhin
das auflagenstärkste der seriösen Blätter im Lande, im Dezember ihren
England-Korrespondenten losschickte, um prominent auf der Seite drei unter
der Überschrift "Eine Marke als Zeichen" zu fragen, "was der britische
Textilhersteller Lonsdale dazu sagt, dass seine Sweatshirts in Deutschland
vor allem von Neonazis so stolz getragen werden". Der gab zu Protokoll, dass
ihm der braune Ruch "peinlich" sei und beteiligte sich an der "Stern"-Aktion
"Mut gegen rechte Gewalt".

Allein die Nachfrage ist jedoch völlig abwegig. "Lonsdale" ist vor allem in
England eine etablierte Sportmarke und wird - wie "Nike", "Adidas" und andere
prominente Sportmarken - gern in jugendlichen Subkulturen als
Erkennungszeichen getragen, keinesfalls nur bei jenen mit rechter Gesinnung.
Erklärt antirassistische Fans des FC St. Pauli etwa verwenden das auf ihren
Verein abgeänderte "Lonsdale"-Logo seit Jahren als Schriftzug für diverse
Fan-Utensilien, linke Ska- und Punk-Bands verfahren genauso. Betrachtet man
nur die Subkultur der Skinheads, die zweifellos einen großen Anteil
Rechtsextremer aufweist, in Sachen Kleidung, könnte man ebenso wie "Lonsdale"
die Hersteller von "Fred Perry"-Poloshirts, "Ben Sherman"-Hemden,
"Levi's"-Jeans, "Doc Marten's"-Schuhen, "Alpha"-Bomberjacken und vor allem
von jedweder Militärkleidung fragen, was sie denn von ihrer rechten
Kundschaft halten.

Der Unterschied zwischen den verschiedenen Kleidungsstücken besteht lediglich
in einem einzigen, dafür aber entscheidenden Detail: Das groß gedruckte Logo
von "Lonsdale" ist auch für den unkundigen Betrachter viel deutlicher
erkennbar als die mitunter winzigen Zeichen der anderen Marken. Die Medien
gehen sich also wieder einmal selbst auf den Leim. So wie etwa der Skinhead
in der Öffentlichkeit längst als Synonym für rassistische Gewalt wahrgenommen
wird, weil die vielen nicht rechtsextremen und wenig gewalttätigen Skins
schlicht zu unauffällig für eine sensationsgierige und quotenfördernde
Berichterstattung sind, so wird die Verbreitung der Marke "Lonsdale"
innerhalb diverser Gruppen mit diversen politischen Orientierungen innerhalb
der Subkulturen nicht mehr wahrgenommen.

Schade eigentlich, wo man doch gerade so froh darüber ist, endlich wieder
eindeutige Zeichen in einem so verflixt wenig eindeutigen Gewirr von Zeichen,
Symbolen, Kulten und Gesinnungen entdeckt zu haben. So wie damals die weißen
Schnürsenkel...

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