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FUSSBALL-FANS IM ABSEITS
Straftat U-Bahn-Fahren
Von René Martens und Matthias Greulich
"Fußball-Fans sind keine Verbrecher" - dieser Satz war bei vielen
Demonstrationen vor der WM in Deutschland auf Transparenten zu lesen.
Friedliche Anhänger wollten damit gegen staatliche Repressionen
protestieren. Ohne Erfolg, wie eine dreiteilige RUND-Serie zeigt.
Ob Politiker, Wirtschaftsvertreter oder Journalist: Die Namhaften unter
ihnen haben nach dem Ende der WM gern den Wunsch verbreitet, sie möge
doch bitte noch lange weitergehen. Zumindest, was die Stimmung in der
Bevölkerung betrifft. Es gibt Fußballfans, für die ist die WM
tatsächlich noch lange nicht vorbei. Ihre Stimmung hat sich seit dem
Ende des Events nicht geändert. Das gilt zum Beispiel für Matthias
Hübner (Name geändert; die Red.), Anhänger des TSV 1860 München. Gegen
einen Bescheid der Verwaltungsbehörde München hat er Widerspruch
eingelegt, und die Sache hat zu tun mit Unannehmlichkeiten, die ihm
während der WM widerfahren sind.
Hübner gehörte zu den rund 20 Münchner Fußball-Anhängern, die während
der WM Meldeauflagen zu erfüllen hatten. Jeden Tag mussten sie sich
zweimal auf ihrer Polizeidienststelle einfinden - 33 WM-Tage lang, ob
Spiele stattfanden oder nicht. Hübner, 26 Jahre alt, ist nicht
vorbestraft, aber die Polizei hat einmal im Zusammenhang mit Fußball
seine Personalien aufgenommen.
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Eine der Begründungen für die Meldepflicht: Man habe ihn an einem Tag,
als sich Hooligans des FC Bayern München und des 1. FC Nürnberg in der
Münchener Innenstadt prügelten, mit einer Überwachungskamera gefilmt -
zwar etliche U-Bahnstationen vom Geschehen entfernt, aber das tat nichts
zur Sache. Die Tatsache, dass Hübner Fan der Münchener Löwen ist, auch
nicht.
Hübner studiert an der Technischen Universität (TU) München. Sein Ziel:
Diplomingenieur. Er steht kurz vor dem Abschluss. Das Geld ist knapp,
seine Freundin ist schwanger. Mit finanzieller Unterstützung seines
Vaters will Hübner die Sache durchziehen, auch wenn er dazu vor dem
Verwaltungsgericht klagen müsste. "Wenn ich mich jetzt nicht wehre,
komme ich da vielleicht nie wieder raus." In zwei Jahren, während der
EM, "habe ich vielleicht einen guten Job". Da wolle er es "nicht
riskieren, meinen Kollegen erklären zu müssen, dass ich mich während der
EM zweimal täglich bei der Polizei melden muss, obwohl ich noch nie
etwas verbrochen habe. Ich weiß nicht, ob das in der Firma jeder versteht."
Der angehende Ingenieur hat noch in einer zweiten Sache Widerspruch
eingelegt. Denn die Stadt München will 1000 Euro von ihm, weil er der
Meldepflicht kurzzeitig nicht nachkommen konnte - er befand sich im
Ausland, auf einer Uni-Exkursion in Belgien. Da er eine entsprechende
Bescheinigung zu spät abgab, wird er zur Kasse gebeten. Einen Spezi von
ihm, ein 19-jähriger Azubi, hat es noch schlimmer getroffen: Der ist
wegen eines nicht rechtzeitig beigebrachten Attests mit 5500 Euro dabei.
Der Münchner Rechtsanwalt Marco Noli, der die beiden Löwen-Anhänger und
weitere Meldepflichtige vertritt, spricht von "schikanösen Methoden, die
in hohem Maß die Grundrechte verletzen".
DPA
St.-Pauli-Anhänger: "Polizei hat Fanszene als Testballon benutzt"
Diesen Vorwurf weist Andreas Ruch, Sprecher des Polizeipräsidiums
München, zurück: "Unsere szenekundigen Beamten haben gemeinsam mit
unserer WM-Einsatzabteilung diese Leute festgelegt. Dass einer
unbescholten war, das kann ich mir nicht vorstellen. Das wäre ja ein
starkes Stück, wenn wir jemanden mit Gewalt in Verbindung brächten, und
es wäre völlig aus der Luft gegriffen." Den Klagen betroffener Fans vor
dem Verwaltungsgericht sehe man " gelassen entgegen". Ihm sei "kein Fall
bekannt, in dem ein Gericht Meldeauflagen für rechtswidrig erklärt
hätte", sagte Ruch. Die Meldepflicht-Maßnahme habe sich "bewährt". Die
Münchener Polizei wendet sie schon seit längerem nicht nur im
Zusammenhang mit Fußball-Ereignissen an, sondern auch bei
Großdemonstrationen.
Solche Methoden gehören für engagierte Anhänger seit Jahren zum Alltag.
Die Fanszene sei ein "Labor für Kontrolltechniken", sagt Eric Töpfer,
der am Zentrum für Technik und Gesellschaft der TU Berlin arbeitet.
"Fußballanhänger haben nun mal keine Lobby." Der Politologe Töpfer hat
während der Weltmeisterschaft die internationale Fachtagung "Policing
Crowds" mitorganisiert, die unter anderem die "Festivalisierung" der WM
sowie die kriminalpolitische Dimension von Sportveranstaltungen zum
Thema hatte.
Zu den Referenten dort gehörte auch Justus Peltzer, ein Bremer
Soziologe, der zudem als Sprecher für das Bündnis Aktiver Fußballfans
(Baff) fungiert. Spieltag für Spieltag, sagt er, würden beispielsweise
Fans, die mit einem Sonderzug zu einem Auswärtsspiel unterwegs seien,
"direkt mit dem Einlaufen in den Zielbahnhof völlig undifferenziert in
einen wandernden Polizeikessel gesteckt" - für die Beamten sei das ein
"wunderbares Experimentier- und Trainingsfeld für polizeiliche Einsätze
in großen Menschenmengen", zum Beispiel politischen Demonstrationen. Auf
der Konferenz vertraten Bürgerrechtler dann auch die Auffassung, manche
Maßnahmen gegen Fußballfans müsste man im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
in Heiligendamm sehen, der 2007 stattfindet.
Erzrivalen mit gemeinsamen Gegner
In der Fanszene machten die Beteiligten ähnliche Erfahrungen: Vor der WM
"wurden diverse polizeiliche Maßnahmen erprobt und die
St.-Pauli-Fanszene als Testballon benutzt", sagt Heiko Schlesselmann,
der Fanbeauftragte des FC St. Pauli. Obwohl die St.-Pauli-Fans nicht als
Problemfans gelten, habe man "die Anzahl der zivilen Beamten und der
eingesetzten Polizisten bei den Spielen nach und nach erhöht und auch
die enge Begleitung von 'Problemgruppen' verstärkt".
Die zuständige Hamburger Innenbehörde sieht das anders: "Die Anzahl der
eingesetzten zivilen Beamten im Vorfeld der WM ist bei den Spielen des
Hamburger SV und St. Pauli nicht erhöht worden", sagt Sprecher Reinhard
Fallak. Beim HSV hat man allerdings ebenfalls "eine personelle
Verstärkung der Polizeibeamten wahrgenommen, zudem habe es ein
offensichtliches Beobachten von Fangruppen durch Beamte bei allen
möglichen Gelegenheiten gegeben", so Joachim Ranau vom HSV-Fanprojekt.
Neben Meldeauflagen kann Ranau auch von der im Behördendeutsch als
"Gefährderansprache" bezeichneten Präventivmaßnahme berichten. Allein in
Hamburg gab es 45 solcher Gespräche zwischen so genannten szenekundigen
Beamten (SKB) und Fans, denen man während der WM Gewalttaten zutraute.
Am Arbeitsplatz sei niemand von der Polizei besucht worden, so
Polizeisprecher Fallak, sondern "grundsätzlich an den Wohnanschriften
oder an den bekannten Treffpunkten in oder an den Stadien kurz vor
Beginn der WM".
Als weitere Maßnahmen, die viele HSV-Fans als gegen sich gerichtet
empfunden haben, nennt Ranau den "Ausbau eines so genannten
Hooliganknasts, der auch nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme
war, Videoüberwachung auf dem Fanfest und der näheren Umgebung".
Lesen Sie morgen im zweiten Teil: Wie eine Gruppe argentinischer
Fußballlfans bei der WM die Aufhebung eines willkürlichen
Stadionverbotes erstritt und wieso sich ein minderjähriges Mädchen bei
einer Personenkontrolle vor einem deutschen Stadion nackt ausziehen muss.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,433015,00.html
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